Das Hundeleben

22. Februar 2021


Cover 1

Die skrupellose Tierzucht für den Schwarzmarkt aus der Sicht eines leidenden Hundes erzählt.

Aus meiner gesellschaftskritischen Kurzgeschichtensammlung "Tabulos".


   Ich wurde in Tschechien geboren. Mit 2 Wochen hatte man mich von meiner Mutter und meinen Geschwistern getrennt und ins Ausland verschleppt. In einem Käfig eingeschlossen wie ein Verbrecher und in einem dunklen Kofferraum eines roten Autos mit anderen gleichgesinnten eingesperrt, brachte man mich nach Ostdeutschland. Ich konnte mich nicht mal verabschieden von meiner Mutter, meinen zwei Schwestern und zwei Brüdern. Wie war es wohl ihnen ergangen? Wurden sie auch verschleppt?
   Ich kam in eine Altbauwohnung, in ein Zimmer voller Kot und Dreck. Zum Essen bekam ich kaum etwas. Wenn ich hungrig geheult hatte, bekam ich Schläge mit einem Lederriemen. »Sei still, du blöder Köter!«, schrie mich die alte Frau, bei der ich wohnte, dann an und schlug mir mit dem Riemen auf das Maul, sodass ich danach oft blutete. Einer meiner Zimmergenossen starb sogar, nach dem er verprügelt wurde. Er bekam Bauchschmerzen, legte sich weinend in die Ecke und am nächsten Morgen atmete er nicht mehr. Er war tot. Also ließ ich es sein mit dem Geheule und Gejammer. Der Hungerschmerz war unerträglich, aber nicht so sehr wie die Schläge.
   Nach einigen Tagen kamen ständig Menschen vorbei, die mich betrachteten, anfassten und dann wieder gingen. Sie fragten immer die alte Frau: ›wie viel?‹. Ich glaube, es ging ums Geld. Sie wollte mich wie einen Sklaven verkaufen. Eines Tages passierte das lang ersehnte Wunder. Am frühen Morgen kam ein Ehepaar mit derer kleinen Tochter und sie nahmen mich mit. ›Ich war gerettet!‹, dachte ich. In ihrem Auto war es schön warm und bequem. Nur die kleine Göre zog mir ständig am Schwanz und den Ohren, was mich nicht schlafen ließ. Wir fuhren sehr lange. Irgendwann hielt das Auto an und der Motor ging aus. Die kleine nahm mich auf den Arm, stieg aus dem Auto und zeigend auf ein Haus sagte: »Das ist dein neues Zuhause, Tobi.«
   Am nächsten Tag brachten sie mich zum Arzt. Er untersuchte mich gründlich und stellte fest, ich hatte Würmer, Läuse und bräuchte Impfungen. Am Abend des gleichen Tages hörte ich, wie der Familienvater zu seiner Frau in der Küche sagte, es sei alles viel zu teuer und sie müssten mich loswerden. Er steckte mich ins Auto und wir fuhren in den Wald. Dort angehalten öffnete er die Tür, schmiss mich raus und fuhr weg. Es war kalt und dunkel. Ich hatte Angst.
   Ich verstand nicht, warum die Menschen so grausam zu mir waren. Ich hatte ihnen doch nichts getan. Im Gegenteil. Sie entrissen mich der Geborgenheit meiner Familie, schlugen mich blutig und setzten mich im Wald aus. Müsste nicht ich derjenige sein, der den Hass empfindet und gewalttätig wird?
   Ich streunte tagelang in der Gegend herum. Ich wusste nicht wohin. Ich aß Würmer, Käfer oder Heidelbeeren und trank das Wasser aus der Regenpfütze. Dann sah ich eine Stadt in der Nähe und witterte leckere Gerüche. Dort gab es definitiv was zum Essen, also ging ich hin. Es war nicht einfach in die Mülltonnen zu klettern, um etwas Essbares zu finden. Manche Menschen waren so gütig, dass sie ihren Hamburger oder Döner mit mir teilten. Es kam aber selten vor. Meist verjagten sie mich mit bösen Beschimpfungen. Am 10-ten Tag meines ›Hundelebens‹ wurde ich aufgegriffen und in ein Obdachlosenheim gesteckt. Die Menschen hatten mich gefangen genommen und wieder der Freiheit beraubt, also war es eher eine Art Gefängnis. Sie nannten es ein ›Tierheim‹. Ich empfand mich aber nicht als Tier. Tiere waren die Menschen. Ich war ein Respekt verdienendes Lebewesen.
   Trotz allem ging es mir gut. Ich war zwar in einem Käfig eingesperrt, bekam aber zumindest genug zum Essen und warm und trocken war es auch. Ab und zu durfte ich auch über die Wiese hinter dem Gefängnis sausen. Inzwischen war ich ein Jahr alt und wartete auf eine neue Familie, die mich aufnehmen würde. Wie ein Waisenkind, obwohl ich keins war. Ich hatte ja Familie, wusste nur nicht wo. Ich vermisste meine Mutter und meine Geschwister, die ich wohl nie wieder sehen würde.
   Nach einigen Tagen kam regelmäßig ein Mann mit seinem Sohn und sie führten mich aus. Von nun an hieß ich ›Bruno‹ und nach einem Monat nahmen sie mich zu ihnen nach Hause. Ich musste nicht mehr zurück ins Gefängnis. Es gab leckeres Essen, einen warmen, gemütlichen Schlafplatz und einen großen Garten zum Spielen. Was wollte man mehr? Außer der hinterhältigen, intriganten Katze ›Cassy‹ war alles perfekt. Bis es eines Nachmittags zu einem Unglück kam.
   Der Junge führte mich aus. Am Waldrand sah ich plötzlich einen Hasen und lief ihm hinterher. Ich wollte spielen, die frische Luft einatmen, die Natur genießen. Ich hörte nicht auf die Zurufe meines Herrchens. Es war mir egal. Ich wollte für ein paar Minuten frei sein. Als ich dann zurückkam, schrie er mich an und schlug mit der Hundeleine zu. Die Erinnerungen an die alte Frau, bei der ich wohnte, wurden wach. Ich durfte es nicht zulassen, wieder so behandelt zu werden. Es war mir zu viel des Bösen. Ich biss ihm ins Bein. Der Junge schrie wie verrückt. Das Blut spritzte. Ein Krankenwagen kam und sie nahmen ihn mit. Genauso wie mich die Tierheimmitarbeiter mitgenommen hatten.
   Ich wurde als bösartig und gefährlich zum Tode verurteilt und wartete jetzt auf die Vollstreckung durch die Todesspritze. Ich konnte mich nicht wehren, da Hunde bekanntlich keinen Anwalt hatten und keine Aussagen machen könnten. Der Mensch war einzig der Richter über mich. Daher täuschte ich früher immer wie ein ergebener Sklave meine Treue vor, um mich beliebt zu machen und nicht in Ungnade zu fallen. Oh, wie gern würde ich die Seiten wechseln und über die Menschen richten. Hätte ich sie alle zum Tode verurteilt, angesichts dessen was sie der Erde und der Natur angetan hatten? Ich glaubte nicht. Im Gegensatz zu den Menschen hatte ich dieses mörderische und zerstörerische Verlangen nicht im Blut. Ich war für das Leben und leben lassen. Ich war ein Lebewesen, dessen Wesen es war, das Leben im Einklang mit der Natur.
   Das war meine Geschichte. Ich hoffe, der Hundehimmel schenkt mir mehr Liebe als das irdische Dasein.

©2021 by Alexander Stepien