Der One-Night-Stand
25. März 2022

Aus meiner gesellschaftskritischen Kurzgeschichtensammlung "Tabulos". Diese Geschichte wurde von einem Teilnehmer der TV-Show „Das Supertalent“ inspiriert.
Christiane war schon seit Langem auf der Suche nach der wahren Liebe. Eine Frau, Mitte 30 sollte einen festen Partner haben, meinte sie. Alle ihrer Freundinnen waren schon verheiratet, hatten Kinder. Und sie? Sie lief noch ungebunden und kinderlos durch das Leben. Sie beneidete ihre Freundinnen, die gute, anständige Kerle geheiratet und freche aber dennoch liebevolle Kinder gezeugt hatten. Christiane sehnte sich nach so einem erfüllten Leben. Aber wie und wo sollte sie IHN finden? Den richtigen, den einzigen. Den Mann, der sie bis an ihr Lebensende begehren und mit ihr gemeinsam die Kinder und Enkelkinder aufwachsen sehen würde. Das wusste sie nicht. Ihre Freundinnen sagten, er würde ihr schon von alleine über den Weg laufen. Dann nämlich, wenn sie es am wenigsten erwarten würde. Nur warten bis 40 oder 50 wollte sie nicht. Sie war überzeugt, sie müsse nachhelfen und selber den Traummann und zukünftigen Vater ihrer Kinder ausfindig machen. In ihrem früheren Leben, bevor sie 30 geworden war, vernaschte sie die vielen prickelnden One-Night-Stands. So propagierte sie auch ihre persönliche Meinung, der Sex wäre OK, aber kein Mann durfte ihrem Herzen zu nahe kommen. Die lähmende Angst verletzt zu werden herrschte über ihren Gefühlen. Sie lechzte nach seelischer wie auch körperlicher Freiheit. Wie ein Adler, der frei über den Wäldern und Wiesen mit dem Ausschau nach einer Beute fliegt. Dieser Zustand machte sie aber irgendwann nicht mehr glücklich. Nach einigen perversen und unbefriedigenden One-Night-Stands entschloss sich Christiane nach dem festen Boden zu suchen, auf dem sie landen und ein Nest bauen könnte. Mit einem Gatten und zwei, vielleicht drei Küken. Vor allem der letzte verrückte Einweg-Stecher, wie sie die Männer für eine Nacht nannte – einmal benutzen und wegwerfen – bewegte sie dazu, ihr Leben ändern zu wollen. Sie lernte ihn nach einer Theateraufführung kennen. In dem Theatercafé. Er war jung, sah gebildet aus und sein hübsches Gesicht und der durchtrainierte Körper reizten sie. Sie sprach ihn an. »Hallo! Auch die Aufführung gesehen?« »Mehr oder weniger.« Seine Stimme klang wie ein frischer, stürmischer Wind, der gegen die Fensterscheibe donnerte. »Wie? Bedeutet es, Sie sind auch kurz eingeschlafen?« Christiane kicherte. Der Schönling schaute sie jetzt mit einem leichten Lächeln auf den Lippen genauer an. »Ich habe da mitgespielt!«, antwortete er fast verärgert. »Aber Sie haben recht. Meine Rolle war zum Einschlafen. Ich heiße Marc.« »Christiane. Angenehm.« Sie packte seine ausgestreckte Hand an, die sich so zart und warm anfühlte, dass Christiane ihre Fantasie bremsen musste, was er so alles mit solchen Händen anstellen könnte. »Ich habe dich auf der Bühne aber nicht gesehen«, bemerkte Christiane. »Ich war das Huhn auf der Sitzstange im Hintergrund«, antwortete er stolz, als ob er die Hauptrolle gespielt hätte. »Ok. Nicht gerade eine dankbare Rolle in einem Kostüm zu spielen ohne das Gesicht zeigen zu dürfen«, belustigte sie sich über seinen Bühnenauftritt. »Na ja. Als Schauspieler muss man eben auch solche Rollen in Kauf nehmen. Sonst verliert man den Anschluss oder wird sogar entlassen und bekommt überhaupt keine mehr. Sie ist aber wie jede andere Rolle auf der Bühne wichtig für das ganze Stück und man muss sich genauso hineinfühlen können.« »Das stimmt. Also fühlst du dich wie ein Huhn auf einer Sitzstange bei deinen Auftritten?« Christiane lachte. »Muss ich ja. Es ist ein Teil meines Jobs«, stimmte er nickend zu und lachte ironisch mit. Der Abend verlief entspannt und unterhaltsam. Sie verstanden sich gut und empfanden immer mehr Zuneigung füreinander bis sie im Hotel landeten. Im Zimmer angekommen schubste Christiane ihn sofort auf das Bett und fing an sich auszuziehen. Ihr Kleid rutschte von ihrem schön geformten Körper auf den Boden. In dem knappen, schwarzen, sexy Dessous sprang sie wie eine Katze auf ihm drauf und fing an sein Ohr, die Wange dann den Mund zu küssen. Als sie ihre Hand in seine Hose stecken wollte, drückte er sie weg. »Warte kurz. Ich komme gleich wieder«, sagte er und verschwand mit seiner Tasche im Badezimmer. »Ok. Ich laufe nicht weg«, beruhigte sie ihm. Christiane nutzte die Zeit seiner Abwesenheit, um sich schon mal warm zu machen. Sie streichelte ihre Brüste und den Intimbereich. Es dauerte ihr etwas zu lange. Sie wollte ja nicht kommen bevor er wieder da war, also verlangsamte sie das Tempo. Plötzlich ging die Badezimmertür wieder auf. Besser gesagt, sie sprang auf. Er kam in einem Huhnkostüm heraus und fing an zu gackern. Christiane ließ die Hand zwischen ihren Beinen regungslos liegen und die Augen wurden größer. Verdammt groß. Sie verstand nicht, ob es wahr war, was sie sah, oder kippte der Kerl ihr vorher etwas in den Drink. Er drehte sich zweimal um die eigene Achse, dauernd am Gackern. Dann nahm er einen Anlauf und sprang auf das Bett. Geduckt in einer Huhn-Pose. Ok, Christiane wusste spätestens jetzt, es war real. Er drehte den Hühnerkopf – denn sonst sah man von seinem eigenen nur seine Augen – langsam zu ihr hin und schaute sie an. In seinem Blick erkannte sie eine gewisse Hilfslosigkeit, die Augen fingen an sich zu verdrehen. In diesem Moment fiel aus seinem Kostümhinterteil ein Ei heraus. Direkt neben Christianes Arm. Sie war sprachlos und wie gelähmt. Er wandte den Blick ihr wieder zu und fragte: »Willst du mich rupfen? Gack, Gack!« Christianes Blick fiel auf ihr Kleid auf dem Boden, wo sie es vorher fallen ließ. Der Gedanke kreiste nur um eine einzige Frage: Wie schnell kann ich es erreichen, anziehen und hier verschwinden? Sie sprang auf, knüpfte den BH zu und zog, so schnell sie nur konnte, die Schuhe und das zerwühlte Kleid an. Total verwirrt lief sie in die Richtung der Ausgangstür, während sie das Kleid zugeknöpft hatte. Hinter ihr hörte sie noch seine Stimme rufen: »Hat es dir nicht gefallen? Nimm doch zumindest das Frühstücksei mit.« Die bescheuerten Schauspieler und ihre Rollen, dachte sie, und knallte die Tür hinter ihr zu. Ja. Das war Christianes letzter One-Night-Stand. Nach all ihren Erfahrungen mit den Männern zog sie ernsthaft in Erwägung, vielleicht doch lieber eine Beziehung mit einer Frau einzugehen.
©2021 by Alexander Stepien